Siedlungsbau im Kalirevier

Die Entdeckung der Kali-Lagerstätte an der Werra im Jahre 1893 markiert den Startpunkt eines massiven Wandels der gesamten Region. Bis heute ist dies, an der Architektur und der Siedlungsstruktur erkennbar – auch jenseits der eigentlichen Werksanlagen und der zugehörigen Infrastruktur.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts ist die Industrialisierung für die Dörfer und Städtchen an der mittleren Werra noch etwas, das weit entfernt stattfindet. Hier treibt man Landwirtschaft und dementsprechend sind die Ortschaften geprägt durch kleinere und größere Höfe, erbaut im regional typischen Fachwerk. Mit der Kaliindustrie entsteht neben der Landbevölkerung eine zunehmend größer werdender Bevölkerungsteil, der gänzlich andere Bedürfnisse und Vorstellungen vom Leben und Wohnen hat.

Am deutlichsten wird dies durch die repräsentativen Direktorenvillen und die sog. „Beamten-Häuser“[LINK], die meist zusammen mit den Werksanlagen in deren unmittelbarer Nähe entstanden. Hier finden die zeittypischen Stilvorstellungen wie Jugendstil oder englische Landhaus-Ideale ihren architektonischen Niederschlag. Die Häuser sollten den Status ihrer Bewohner verdeutlichen: Hier wohnt die neue bürgerliche Oberschicht der Region.

Daneben gibt es natürlich das Heer der einfachen Bergleute und Fabrikarbeiter. Zwar nutzen schon früh viele Kleinbauern der Region die Erwerbsmöglichkeiten „am Schacht“ und betreiben ihre Landwirtschaft nur noch als Nebengewerbe. Aber spätestens Mitte der 1920er Jahre ist dieses Arbeitskräftereservoir erschöpft – es muss eine massive Zuwanderung erfolgen. Der begrenzende Faktor hierbei sind Wohnungen, denn ohne Grundbesitz und mit einem relativ kleinen Einkommen wir sich kein Arbeiter gleich ein eigenes Haus bauen.

Es werden ganz unterschiedliche Modelle entwickelt, um den Zuzug und die Ansiedlung für Arbeitskräfte und ihre Familien zu ermöglichen: Das Kaliwerk Hattorf baut die sog. „Kolonie“, einen Komplex mit 92 Wohneinheiten im Stil der Gartenstadt-Bewegung, Wintershall errichtet am Werk Merkers eine Gemeinschaftswohneinrichtung für alleinstehende Arbeiter und alle Unternehmen vergeben günstige Kredite um ihren Arbeitern den Bau von Eigenheimen zu ermöglichen. Vor allem in den 1930er und 50er Jahren entstehen so in allen Kaligemeinden ausgedehnte Neubaugebiete mit den typischen Siedlungshaustypen jener Zeit.

Direktorenvillen Kaliwerk Wintershall

Hinten eine riesige Abraumhalde, vorn die mächtigen Bauten der Kalifabrik und der Lärm der Gütertransporte auf dem Bahngleis – keine Frage, heute würde man seinem leitenden Personal sicher eine attraktivere Immobilie anbieten müssen. Doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts müssen wir uns diese Wohnlage als ein Statement vorstellen.

Kolonie Hattorfer Platz

Sechs Vier- und sechs Achtfamilienhäuser bilden – zu einem Rechteck angeordnet – die „Kolonie Hattorfer Platz“. Direkt daneben sollte an der Wiesenstraße noch ein zweiter Komplex entstehen, von dem aber nur drei Gebäude realisiert sind. Was führt in einem osthessichen Dorf dazu, dass 92 Wohneinheiten auf einen Schlag benötigt werden?

Karte

Werra-Kalibergbau-Museum


Das Werra-Kalibergbau-Museum in Heringen (Werra) dokumentiert die Geschichte und Gegenwart des seit 100 Jahren wichtigsten deutschen Kaliabbaugebiets auf beiden Seiten der hessisch-thüringischen Landesgrenze an der mittleren Werra. Der Ende des 19. Jahrhunderts beginnende Kalibergbau prägt die Region maßgeblich bis auf den heutigen Tag und ist nach wie vor der mit weitem Abstand größte Arbeitgeber.